Gutachten zum Bundesgerichtsurteil: Richten von Medikamenten ist eine pflegerische Handlung
Das Richten von Medikamenten ist gemäss Eidgenössischem Versicherungsgericht keine pflegerische Handlung. Ein Gutachten bestätigt nun das Gegenteil: Das Richten von Medikamenten sorgt für Patientensicherheit und gehört „zwingend“ zur Behandlungspflege.
Das Richten von Medikamenten durch eine Spitexorganisation sei keine pflegerische Handlung im Sinne der Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV) und somit nicht kassenpflichtig. Dies hat das Eidgenössische Versicherungsgericht letztes Jahr entscheiden (Urteil 9C_62/2009 vom 27.4.2010). Artikel KLV 7 Abs 2 lit b Zif 7 liste nur die Verabreichung von Medikamenten auf, nicht aber das Richten der Medikamente, befand das Gericht. In der Folge begannen einzelne Krankenversicherer (nicht aber die Visana, welche das Urteil erwirkt hatte), diese Leistung nicht mehr zu vergüten. Und Santésuisse, respektiv neu auch Tarifsuisse, drängen darauf, das Urteil umzusezen.
Die Argumentation des Gerichts ist aus Sicht des Spitex Verbands Schweiz fachlich falsch und mit Blick auf die Sicherheit der KlientInnen fatal. Entscheidend sei, dass die richtigen Medikamente in der richtigen Dosierung bereitgestellt werden, bevor sie verabreicht werden. Das Richten der Medikamente ist somit klar eine pflegerische Handlung und deshalb von einer diplomierten Pflegefachperson zu verantworten. Um seine Einschätzung wissenschaftlich abzustützen, liess der Spitex Verband Schweiz die Sachlage in einer Expertise von Frau Professor Spirig begutachten. Sie ist am Universitätsspital Zürich tätig und unterrichtet an der Universität Basel am pflegewissenschaftlichen Institut.
Das Gutachten bestätigt nun die Einschätzung des Spitex Verbands Schweiz. Das Richten von Medikamenten stelle „einen wichtigen pflegerischen Beitrag zur Gewährleistung der Patientensicherheit dar“ und sei „zwingend der Behandlungspflege zuzuordnen“, befanden die Autorinnen des Gutachtens, Prof. Rebecca Spirig und Pflegeexpertin Elisabeth Burtscher.
Der Spitex Verband Schweiz wird, gestützt auf das Gutachten, beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) vorstellig werden und – falls nötig – eine Änderung der KLV verlangen. Die Chancen sind durchaus intakt, dass die KLV tatsächlich präzisiert wird. In seiner Antwort auf die Motion 11.3212 von Nationalrätin Bea Heim (SO) schreibt der Bundesrat am 25.5.2011, dass er bereit sei, die Motion anzunehmen und „vom EDI eine textliche Überarbeitung oder Ergänzung von Artikel 7 KLV vorbereiten zu lassen, damit die obligatorische Krankenpflegeversicherung in bestimmten Situationen den Aufwand für das Richten der Medikamente auch dann vergütet, wenn diese Leistung durch Pflegefachleute durchgeführt wird“. Die Motion muss zuvor jedoch noch die beiden Räte passieren.
Unabhängig davon wird der Spitex Verband Schweiz in der Zwischenzeit weiterhin mit jenen Krankenversicherern Gespräche führen, welche das Bundesgerichtsurteil bei Spitex anwenden und den PatientInnen das Richten der Medikamente nicht mehr bezahlen.
Ob dadurch eine erneute gerichtliche Beurteilung überflüssig wird, ist noch offen. Der Spitex Verband Schweiz prüft derzeit zusammen mit dem Anwalt, ob er neue Fälle ans Bundesgericht ziehen will, um eine Korrektur des Urteils zu erwirken.
Der Spitex Verband Schweiz empfiehlt allen Spitex-Organisationen weiterhin die diesbezügliche Empfehlung zu befolgen:
- das Richten von Medikamenten weiterhin als KLV-7-Leistung zu verrechnen.
- das Richten von Medikamenten nicht den PatientInnen als privat zu bezahlende Zusatzleistung in Rechnung zu stellen (Tarifschutz).
- Bestreiten die Versicherer die Kassenpflicht, lassen Sie die Dosett in der Apotheke oder beim selbstdispensierenden Arzt richten (beide haben eine Tarifposition).
- Eröffnen Sie der Versicherung, dass künftig täglich mehrmals ein/e Pflegefachfrau/-mann die Medikamente dem/ der PatientIn in verabreichen wird.
(Quelle: SVS, 1.6.2011)